1. Erzählen Sie etwas über Ihren Alltag!
Da ich schon im Ruhestand bin, stehe ich morgens, wann ich will. Ich genieße mein Frühstück. Dann lese ich Zeitungen. Jeden Tag bekomme ich viele E-Mails und Anrufe von meinen Studenten aus aller Welt. Ich berate sie in akademischen und auch in persönlichen Angelegenheiten. Viele Deutschlehrer wollen auch von mir didaktische Vorschläge für den DaF-Unterricht. Ich bekomme auch Anfragen von indischen Eltern, die Kommunikationsprobleme mit ihren Kindern haben. Ich berate sie alle ohne Entgelt. Ich lese viel und gehe jeden Tag fünf Kilometer spazieren. Da meine Frau nicht mehr lebt, führe ich meinen Haushalt selbstständig. Der Alltag ist nie langweilig für mich!
2. Haben Sie neulich etwas Interessantes gelesen?
Ja. Ich lese gerade ein interessantes Buch, „Der Nachruf“ von Stefan Heym. Das ist die Autobiographie von ihm. Er war eines der herausragendsten und streitbarsten Schriftsteller der Nachkriegsliteratur. Sein Leben war aufs Engste verflochten mit den geschichtlichen Vorgängen des 20. Jahrhunderts.
3. Worauf sind Sie stolz?
Ich bin sehr stolz darauf, daß ich als Mensch und Lehrer niemals auf meine Selbstachtung verzichtet und keinerlei Kompromisse im Leben gemacht habe.
Ich bin auch sehr stolz auf meine Töchter, Ashwini und Nive(dita)!
4. Sie haben in Indien 32 Jahre lang
Deutsch unterrichtet und Deutschlehrer ausgebildet. Sie haben auch viele Jahre an den Universitäten in den USA Deutsch und Hindi unterrichtet. Was ist der Unterschied zwischen amerikanischen und indischen Studenten?
Amerikanische Studenten haben meistens ein individualistisches Lebensgefühl, während indische Studenten von Eltern und Verwandten ständig unter viel Druck gesetzt werden. Amerikanische Studenten denken über den Beruf nach, nicht unbedingt, bevor sie mit ihrem Studium beginnen. Die meisten indischen Studenten werden von ihren Eltern gezwungen, schon während der Schulzeit über ihre berufliche Zukunft ernsthaft zu denken. Amerikanische Studenten haben im Allgemeinen mehr praktische Kenntnisse als indische Studenten. Die Studenten in Indien werden mit Zuviel theoretischem Wissen beladen. Die indischen Studenten bringen im Gegensatz zu den amerikanischen Studenten viel mehr Wißbegierde.
5. Was haben Sie von Indien, Deutschland und den USA gelernt, das Sie als wertvoll betrachten?
Von Indien habe ich multikulturelle Toleranz gelernt. Von Deutschland habe ich Pünktlichkeit und systematisches Denken gelernt. Von den USA habe ich gelernt, wie und warum man allen Menschen gegenüber freundlich und höflich sein soll. Ich verdanke allen drei Ländern meine erfolgreiche Existenz als „global citizen“, der interkulturell zwischen den Menschen effektiv vermitteln kann.
6. Auf welche Weise sind Sie im gewissen Sinne “ein Deutscher” geworden?
Ich habe 8 Jahre in Deutschland gelebt und studiert. Ich habe mich sehr bemüht, die deutsche Sprache einwandfrei zu lernen und die deutsche Kultur intensiv zu erleben. Dadurch bin ich als Persönlichkeit teilweise doch etwas ‚deutsch’ geworden im positiven Sinne. Meine deutschen Freunde schätzen das, obwohl viele Inder es nicht verkraften. Hauptsache ich bleibe, wer und was ich bin!
7. Wenn Sie kein Lehrer geworden wären, was hätten Sie dann beruflich getan?
Ich bin gern Lehrer geworden, und bin glücklich darüber. Ein guter Lehrer ist sozial kompetent, hört geduldig zu, kann mit Stress umgehen, redet offen, kritisiert fair, nimmt auch selbst Kritik an, und ist stets aufgeschlossen. Ein guter Lehrer bleibt ein Lernender bis an das Ende seiner Tage. So werde ich weiterhin bleiben. Ich kann mir ehrlich keinen anderen Beruf vorstellen!
8. Sie sagen immer: „Ich bin 72 Jahre jung!“. Was ist das Geheimnis hinter Ihrer so lebhaften, dynamischen und positiven Einstellung zum Leben und Beruf?
Das Leben hat mich manches gelehrt. Glücklich sein heißt nicht, daß man ein perfektes Leben führt. Glücklich sein heißt, daß man lernt, das Leben mit einer positiven Einstellung zu leben trotz aller Probleme und Schwierigkeiten. Die Jugend kennzeichnet nicht einen Lebensabschnitt, sondern eine Geisteshaltung. Jung ist, wer noch staunen und sich begeistern kann.
Man bleibt jung, solange man aufnahmebereit bleibt. Johann Wolfgang von Goethe sagte: “Wenn man sich an der Jugend reibt, wird man selbst wieder jung.”.Daran glaube ich und suche deshalb Begegnungen mit jungen Menschen nach dem Motto: Man ist so jung, wie man sich fühlt!
9. Was raten Sie Deutschlernenden und Deutschlehrer/Deutschlehrer-innen?
Mein Rat an Deutschlernende:
Wenn Sie Deutsch lernen möchten, müssen Sie zunächst akzeptieren, dass es sich um eine Sprache handelt, die sich in der Regel von Ihrer Sprache unterscheidet. Stellen Sie deshalb niemals die Frage: "Warum ist es so auf Deutsch?". Sagen Sie lieber: "Oh, so ist es auf Deutsch!" und lernen Sie tüchtig!
Wenn Sie Gemeinsamkeiten zwischen Deutsch und Ihrer Sprache entdecken, freuen Sie sich darüber. Aber wenn etwas nicht ähnlich ist, akzeptieren Sie das und reflektieren Sie darüber und lernen Sie!
Hören Sie auf, in Ihrer Sprache zu denken, und denken Sie von Anfang an auf Deutsch. Übersetzen Sie nie einen Satz Wort für Wort von einer Sprache ins Deutsche! Das wird nicht Deutsch! Versuchen Sie, ein Sprachgefühl für Deutsch zu entwickeln!
Wenn Sie auf neue Wörter stoßen, versuchen Sie, ihre Bedeutung im Kontext zu erraten. Das ist die beste Strategie! Greifen Sie nicht sofort zum Wörterbuch!
Lernen Sie die Grammatik der Sprache gut, was auch immer die Leute sagen mögen, Grammatik ist und bleibt die Grundlage, die Ihnen hilft, die Sprache immer besser zu beherrschen.
Um die Sprache zu sprechen, ist es am besten, mutig den Mund zu öffnen und von Anfang an zu sprechen. Wenn Ihr Wortschatz im Moment nicht sehr groß ist, benutzen Sie die Körpersprache. Seien Sie nicht unnötig besorgt. Verstehen Sie, dass, sobald Sie anfangen, Deutsch zu sprechen, auch wenn es nicht sehr gut ist, es nicht mehr Ihr Problem ist, sondern das Problem des Zuhörers, zu verstehen, was Sie sagen!
Sprachen lernen kann Spaß machen, aber es muss auch ein Vergnügen sein. Wählen Sie deshalb einen Lehrer, der es versteht und Ihnen helfen kann. Ein guter Lehrer kann Ihnen das Lernen erleichtern, aber Sie müssen sich schon anstrengen,um erfolgreich Deutsch zu lernen. Auf Deutsch sagt man: „Aus Nichts kommt Nichts!“.
Jedes Lernen erfordert Zeit, ernsthafte Motivation und harte Arbeit seiten des Lernenden. Es gibt keine Fast-Track-Methoden, die Ihnen wirklich helfen können! Auf Deutsch sagt man: „Eile mit Weile!“. Das gilt auch für das Erlernen einer Fremdsprache! Sprachen lernen ist ein lebenslanger Prozess! Also nicht bei A und B anhalten - bis Z weitermachen !!!
Mein Rat an die Deutschlehrer / Deutschlehrerinnen:
Wenn Sie anfangen, anderen Deutsch beizubringen, seien Sie aufrichtig und bringen Sie ihnen nur korrektes Deutsch bei. Geben Sie Ihr halbgekochtes Wissen nicht an Ihre Schüler weiter! Es ist eine Frage der Berufsethik! Unterrichten Sie Deutsch aus einer interkulturellen Perspektive und mit einem multilingualen Ansatz.
10. Was sagt Ihnen Ihre innere Stimme?
Meine innere Stimme sagt mir immer:
परोपकाराय फलन्ति वृक्षाः। परॊपकाराय वहन्ति नद्यः। परॊपकाराय दुहन्ति गावः। परॊपकारार्थम् इदं शरीरम् ।
Bäume tragen Früchte für andere. Flüsse fließen, damit andere sie nutzen können. Kühe geben Milch für andere. Auch unser Körper soll dazu dienen, anderen Menschen behilflich zu sein.
Aus diesem Grund versuche ich, ehrlich und ernsthaft anderen Menschen zu helfen.
11. Was war die schwierigste Entscheidung, die Sie treffen mussten, um Ihren Lebensweg erfolgreich zu gestalten?
Zuerst mußte ich lernen, mein Selbstvertrauen positiv aufzubauen. Dann mußte ich lernen, wie ich meine Angst vor der sogenannten Gesellschaft überwinden kann, und dabei auch die Angst vor Veränderungen im Leben. Dann lernte ich, wie wichtig es ist, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, ich mich aus meiner Komfortzone herausführen muß, obwohl es manchmal wirklich emotional anstrengend sein kann. Die größte Entscheidung, die ich dann traf, war mir zusagen: „Sei ehrlich zu dir und höre auf dein Gewissen!“. Ich habe somit angefangen, meinen Lebensweg selbst zu gestalten, und das habe ich bis jetzt konsequent gemacht.
PROFESSOR DR. VRIDHAGIRI GANESHAN
Prof.Dr.V.Ganeshan,geboren am 16. April 1947 in Madras (Chennai), studierte Hindi-Literatur, Geschichte und Politikwissenschaft an der Osmania Universität, Hyderabad (1962-1967), Germanistik und Internationale Politik an der Universität München (1967-1975) (M.A. 1972 und Dr.phil. 1975). Seine Magisterarbeit war über „Das Indienerlebnis Hermann Hesses“ und seine Doktorarbeit war über "Das Indienbild deutscher Dichter um 1900 ". Er hat auch ein Sprachlehrerdiplom (1970) vom Goethe-Institut, München.Er war 32 Jahre lang Professor für Deutsch (1975-2007) am Central Institute of English and Foreign Languages (CIEFL)(seit 2007 ‚English and Foreign Languages University (EFLU)‘ in Hyderabad/Indien. Er hat in Indien Deutsch-und Englischlehrer aus-und fortgebildet.
Er war Leiter der Deutschen Abteilung am CIEFL (1978-1980, 1982-1984, 1986-1987 und 1988-1990), Professor für Deutsch und Leiter der Abteilung für Fremdsprachen an der Bombay Universität (1980-1982), Dekan für Fremdsprachen am CIEFL (1986-1987, 1991-1993), Koordinator, Academic Staff College German am CIEFL (1990-1994) und Vice-Chancellor vom CIEFL (1996-1997) und 2004—2005). Er lehrt und forscht über deutschsprachige Literatur, Landeskunde, Deutsch als Fremdsprache und interkulturelle Kommunikation. Zu seinen Veröffentlichungen zählen zwei Bücher 1. Das Indienerlebnis Hermann Hesses.
Bonn 1972., 2. Das Indienbild deutscher Dichter um 1900. Bonn. 1975. und über 90 wissenschaftliche Beiträge in Sammelbänden und internationalen Fachzeitschriften. Er hat an mehreren internationalen Tagungen/Kongressen/Symposien/Konferenzen teilgenommen und Referate gehalten. Er hat 8 Jahre in Deutschland gelebt, ist in Europa weit gereist und hat auch andere Länder wie Kanada, Japan, Taiwan, Thailand und Sri Lanka besucht und dort Vorträge und Workshops gehalten.Er wurde ausgezeichnet mit Stipendien vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) (1967-1972), von der Konrad Adenauer-Stiftung (1972-1975) und von der Alexander von Humboldt-Stiftung (1987-1988 und 1994-1995) und war Gastforscher im Institut für Deutsche Philologie an der Universität München (1987-1988 und 1994-1995). Für seine wissenschaftliche und pädagogische Leistungen zur Förderung der deutschen Sprache und deutscher Philologie wurde ihm 1990 von dem Ministerium für Fach-und Hochschulwesen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) der "Jakob--und Wilhelm Grimm-Preis“ zuerkannt.Kontaktadresse: [email protected] Stand: August 2019
Seit 2007 lebt Prof. Dr. V. Ganeshan in Alpharetta/Atlanta/USA und hat an verschiedenen Universitäten in Atlanta/USA Deutsch und Hindi gelehrt. Er war „Visiting Professor“ (2010-2011) & (2008-2009) an dem Department of
German Studies an der Emory University in Atlanta/USA, “Visiting Lecturer in German” (2009-2010 & 2011-2013)) an dem Department of Modern and Classical Languages an der Georgia State University in Atlanta/USA, „Visiting Professor“ (2008-2009) an dem Department for Middle-Eastern and South Asian Studies an der Emory University in Atlanta/USA und Deutschlehrer am Goethe-Zentrum in Atlanta.Seit 2015 verweilt er jedes Jahr sechs Monate in Indien, hält Vorträge und bietet Workshops über diverse Themen.